Hiekel, Jörn Peter / Lessing, Wolfgang (Hg.)

Verkörperungen der Musik

Interdisziplinäre Betrachtungen

Verlag/Label: transcript, Bielefeld 2014, 234 Seiten, 29,99 Euro
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 94

Im Anschluss an eine Ringvorlesung zum Thema «Verkörperungen» an der Hochschule für Musik Carl Ma­ria von Weber Dresden beleuchten die acht Beiträge dieses Bandes aus unterschiedlichen Perspektiven den Körper als zentrale Schnittstelle aller mit Musik befassten Wissenschaften. Unter Bezug auf zahlreiche instrumentalpädagogische Lehrwerke untersucht Wolfgang Lessing die jeweils spezifischen Umgangsweisen mit dem Körper und dokumentiert so den historischen Wandel im Gebrauch der Begriffsbildung «Instrumentaltechnik». Demgegenüber arbeitet Akeo Okada aus Klavierübungen des 19. Jahrhunderts die pädagogischen Prinzipien von Reduktion, Repetition und Verstärkung heraus, die er mit Blick auf zentrale kompositionsästhetische Prinzipien musikästhetisch kontextualisiert.
Eine gedanklich scharfe Einlassung auf die poststrukturalistische Provokation Roland Barthes’ bezüglich der Möglichkeit, physiologische Kennzeichen des Körperlichen in einen Notentext einzuschreiben, liefert Michael Heinemann in seinem Beitrag über «Chopins Fragilität». Martin Zenck wiederum begibt sich auf die Suche nach dem notierten «corporalen Subtext» von Partituren und erläutert, gedanklich auf die Person des Pianisten fokussiert, wie sich dieser von einer «oral-mimetischen» Erscheinungsweise in Klassik und Romantik zu einem das Ex­pressionsorgan des gesamten Körpers betreffenden Element in neuerer Mu­sik gewandelt hat. Eine willkommene Ergänzung dazu bietet – unter Berücksichtigung pädagogischer, ästhetischer, historischer und physiologischer Aspekte – Wolfgang Rüdigers instruktiver Beitrag zur Herkunft des Ausdrucks aus dem «Gesicht, Gefühl und Mienenspiel beim Musizieren». Pavlos Antoniadis macht schließlich, bezogen auf die extreme Komplexität von Klaviermusik nach 1945, auf die veränderte Bedeutung des Körpers für die zeitgenössische Musik aufmerksam und widmet sich der wichtigen Frage nach der Bedeutung dieses modifizierten Körperbilds für die Einstudierung komplexer Partituren sowie für den instrumentalen Lernprozess.
Während sich diese Beiträge durch eine gelungene Auseinandersetzung mit der variantenreichen Thematik auszeichnen, bleiben die übrigen Aufsätze unbefriedigend: Hans-Christian Jabusch und Eckart Altenmüller referieren aus Sicht der Empirik über den gegenwärtigen Stand musikphysiologischer Forschungen zu den Fra­gen des Übens und der Entwicklung sensomotorischer Fähigkeiten, verfangen sich allerdings im Dickicht unberücksichtigter Variablen, sodass ihre Ausführungen letzten Endes eben­so oberflächlich bleiben wie die Übeempfehlungen früherer Zeiten. Zum Abschluss des Bandes fragen Eckart Altenmüller und Reinhard Kopiez dann nach möglichen evolutionären Gründen für die Entstehung der Musik, kommen dabei aber kaum über eine Zusammenfassung bisheriger Theorien hinaus und gefallen sich stattdessen darin, in auktorial erzählten Passagen allerlei Mut­maßungen über das Musik- und Gefühlsleben in vorgeschichtlicher Zeit anzustellen.

 Stefan Drees