Wagner. A Genius in Exile

Ein Film von Andy Sommer | 54 min. plus 79 min. Bonus

Verlag/Label: Bel­Air BAC 096
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 76

Der Name Wagner ist im Jahr 2013 ein profitträchtiges Logo. Das weiß auch Antoine Wagner, ein entfernter Nachkomme des großen Richard. Im Dokumentarfilm von Andy Sommer über die langjähri­gen Aufenthalte des Komponisten in der Schweiz spielt er den Fremdenführer und inszeniert sich dabei eifrig selbst. Kaum eine Bildsequenz, in der der kleine «Künstler aus New York» nicht in die Kamera zwinkert, und entdeckt er irgendwo eine Wagnerbüste, so stellt er sich gleich kumpelhaft daneben. Unüberhörbar beiläufig plaudert er auch aus, dass er selbst eine Publikation über den Komponisten plant.
Indem dieser Dokumentarfilm als Werbeträger für einen ebenso eitlen wie geschäftstüchtigen Nachkommen herhalten muss, wird das Thema «Wagner und die Schweiz» weitgehend verschenkt. Es wäre zweifellos äußerst ergiebig gewesen. Im Schweizer Exil, fern von Theaterquerelen und politischer Unruhe, konnte sich Wagner ganz auf sich selbst zurückziehen und seine Werke reifen lassen. Im Jahrzehnt nach seiner Flucht aus Dresden 1849 und dann wieder von 1866 bis 1871 entstanden hier wesentliche Vorarbeiten und Partiturteile u. a. zu «Tristan und Isolde», zum «Ring des Nibelungen» und zu den «Meistersingern». 1853 trug der steckbrieflich gesuchte Revolutionär im Zürcher Luxushotel Baur au Lac erstmals seine Ring-Dichtung öffentlich vor, und bedeutende und berüchtigte Schriften wie «Das Kunstwerk der Zukunft» und «Das Judenthum in der Musik» sind in dieser Stadt entstanden. Die geruhsamen Provinzstädte Zürich und Luzern waren zudem die Schauplätze seiner großen und werkrelevanten Liebesaffären mit Mathilde von Wesendonck und Cosima von Bülow – beide übrigens verbunden mit einem Vertrauensbruch gegenüber deren Ehemännern, die Wagner wohlgesinnt waren; der Seidenhändler Wesendonck unterstützte ihn finanziell, der Dirigent Bülow als Künstler.
Und dann gibt es da noch die Faszination, die die Schweizer Berge auf Wagner ausübten. Die langen Wanderungen, u. a. mit seinem Exilgenossen Georg Herwegh, inspirierten ihn nicht zuletzt zum Szenario seines «Ring». Der Filmautor Sommer findet dafür hoch attraktive Ansichten von Wanderrouten und Alpengipfeln und sorgt mit Werkschnipseln von «Lohengrin» bis «Parsifal» für dramatische Untermalung. Das ist fraglos gekonnt gemacht, riecht aber auch wieder extrem nach Reklame – der Dachverband der Schweizer Tourismusindustrie gehört zu den Sponsoren des Films.
Bei aller Fremdbestimmtheit wartet die Dokumentation aber noch mit einigen substanziellen Aussagen auf. Die Musikwissenschaftler Eva Rieger und Laurenz Lütteken sprechen über die schillernden Charaktereigenschaften Wagners und sein Werk, der Dirigent Philippe Jordan über die Partituren. Ein sympathisch menschlicher Zug kommt mit Armin Trösch, dem Inhaber eines Zürcher Antiquariats, ins Spiel. Er ist Präsident der Schweizer Wagner-Gesellschaft und outet sich als kritisch-begeisterter Wagnerkenner jenseits von festgefahrenen Ideologien. Das will etwas heißen bei einem Künstler, der wie kein Zweiter das Publikum in verfeindete Lager gespaltet hat.

Max Nyffeler