Geck, Martin

Wagner. Biographie

Verlag/Label: Siedler, München 2012 | 414 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 48

Schon häufiger hat sich Martin Geck zu Wagner tiefgründig geäußert, so etwa in seinem Übersichtsbuch zur Musik des deutschen Idealismus Von Beethoven bis Mahler (Stuttgart 1993/ Reinbek 2000), das sich auch heute noch ausgezeichnet als Parallellektüre zur umfassenden Studie Romantik. Eine deutsche Affäre von Rüdiger Safranski eignet (München 2007). Auch eine Rowohlt-Monographie (Reinbek 2004) und der Personen-Eintrag in der Neuauflage der MGG (Kassel/Stuttgart 2007) sind dem Autor zu verdanken. Das neue Buch – sicher eine der gewichtigen Publikationen zum Wagnerjahr – belegt daher auch eine Obsession des Autors für den Gegenstand, haben doch die bis kurz vor das Erscheinungsjahr fortgeschriebenen Einträge im beachtlichen Literaturverzeichnis auch allerorten Niederschlag im Text gefunden.
Der Aufbau des Buchs folgt der Chronologie des Schaffens, d. h. jedem der Hauptwerke ist ein eigenes Kapitel gewidmet, auch die frühen Opern und mittleren Dramenentwürfe sind zusammengefasst berücksichtigt. Vor allem aber wird – dem Unterbruch der Komposition nach dem zweiten Akt des Siegfried folgend – der Ring in zwei getrennten Abschnitten vor Tristan und nach Meistersingern abgehandelt. Die auch nach heutigen Maßstäben abenteuerliche Biografie Wagners, die teils auf das Werk zurückschlägt, teils sogar aus dem Werk und dessen Verwirklichung erst erwächst, wird demgemäß in die Werkkapitel, durchaus erkennbar fortlaufend, wenn auch mit je anderen Akzentuierungen, eingegliedert. Ein sich bis zur «aktuellen Medientheorie» (S. 366) vorwagendes Schlusskapitel kennzeichnet Wagner als «Spürhund der Moderne», und zwischen die Kapitel eingeschoben finden sich kurze «À propos», die anregende Splitter aus der zeitgenössischen und späteren Rezeptions- und Wirkungsgeschichte in lockerer Konnotation präsentieren.
In faszinierender und packender Weise gelingt es Martin Geck, die ideengeschichtliche Verschränkung des Gesamtwerks als immer neue Verzweigung einer «theatralischen Urszene» vom ersten, noch ungelenken, wenngleich bereits ausufernden Dramenwurf Leubald bis hin zu Parsifal anhand der schnell zur «idée fixe» werdenden «Erlösung im Untergang» zu erläutern. So werden zwischen Lohengrin und der Vollendung von Tristan wichtige dramaturgische und sich lediglich neue Stoffe suchende Varianten dieser «Urszene» bereits während laufender Kompositionsphasen in immer neuen Werkprojekten skizziert, was die Zeit nach 1860 im Grunde nur noch als eine, wenn auch gigantomane Phase der Abarbeitung erscheinen lässt. Als Dramaturg betätigt sich der Autor gar gegen Ende des Buchs, wenn er den direkten Abschluss der Götterdämmerung mit den Parsifal-Glocken als bühnentauglich und inhaltlich konsequent imaginiert.
Wer mag bei solch profunder Musikvermittlung noch den Beckmesser spielen wollen? Ein durchgehendes Ärgernis ist allerdings zu erwähnen: der Anmerkungsapparat, der sich auf dürre Seitenverweise der zitierten Literatur beschränkt. So läuft das durch die Lektüre angestachelte Interesse am Detail immer wieder ins Leere. Man wüsste schon gern, welche zwei Takte im Parsifal von Wagner überklebt wurden, weil sie ihn an die Gnadenarie aus Robert der Teufel von Giacomo Meyerbeer erinnerten (S. 125) etc. Der Unterstreichung der «Seriosität des Wagner-Forschers», mit der Geck im Vorwort «für die mitgeteilten Fakten bürgt» (S. 15), wäre mit nur wenig mehr an Auskunft und Präzisierung deutlich besser gedient gewesen. Oder will hier ein Hans Sachs seine interessierteren Leser, Studierende etwa oder Fachkollegen, zwingen, den heute so unüblich gewordenen, mühsamen Weg durch Partituren und Literatur selbst nochmals in toto nachzuvollziehen?

Andreas Krause