Lütteken, Laurenz (Hg.)

Wagner Handbuch

Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/ Stuttgart/Weimar 2012 | 512 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 47

Pünktlich zum Beginn des Wagnerjahres liegt mit dem Wagner Handbuch ein wichtiges Kompendium vor, dessen Beiträge, ergänzt durch Zeittafeln, Verzeichnisse und Abbildungen, sämtliche Bereiche des Wagner’schen Schaffens auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstands durchleuchten, wobei die Orientierung an unterschiedlichen Themenkomplexen die Annäherung aus jeweils spezifischen Perspektiven ermöglicht. Erwartungsgemäß ist je­dem Bühnenwerk ein ausführliches Einzelkapitel gewidmet, daneben werden die Orchester- und Klavierkompositionen sowie die Vokalwerke und Schauspielmusiken ausgiebig gewürdigt, während sich ein weiteres Kapitel mit der Bearbeitungspraxis und den überlieferten Werkfragmenten befasst.
Die hohe Qualität des Bandes bemisst sich nicht nur an den differenzierten Betrachtungen, die von den jeweiligen Autoren unter Berücksichtigung von Entstehungsprozess und unterschiedlichen Werkfassungen vorgelegt werden; sie lässt sich auch daran ablesen, dass in einer gesonderten Abteilung der Schaffensprozess selbst von der Ideenfindung und der Praxis des Skizzierens bis hin zur Entstehung der musikalischen Syntax anhand instruktiver Beispiele dargestellt wird. Ebenso sorgfältig nähert man sich den Arbeiten des Musikschriftstellers Wagner und den darin vertretenen ästhetischen Positionen, die im Kontext von Literatur, bildender Kunst und Philosophie der Zeit betrachtet werden, wie schließlich auch Wagners Aktivitäten auf dem Gebiet der Dichtung, seine Planung von Villa Wahnfried und Festspielhaus so­wie seine Tätigkeit als Regisseur thematisiert werden. Besonders positiv macht sich die kulturhistorische Positionierung all dieser Schaffensfacetten bemerkbar, die sich im Bereich «Lebenswelten» etwa mit den Wirkungsorten des Komponisten und seiner Tätigkeit als Dirigent, in der Sektion «Politik und Gesellschaft» hingegen mit seinen politischen Aktivitäten und seinem Antisemitismus auseinandersetzt. Eine weitere Abteilung beleuchtet schließlich noch die Interpretation und Rezeption von Wagners Schaffen durch Dirigenten, Sänger, Regisseure und Presse seiner Zeit.
Dass es sich bei alldem lediglich um eine Bestandsaufnah­me bis zu Wagners Tod im Jahr 1883 handelt, ist eine editorische Grundsatzentscheidung, die – vom Herausgeber im Vorwort begründet – vor allem die Möglichkeit eröffnen soll, unverstellt auf die Lebenszeit des Komponisten zu fokussieren. Informationen zur politisch brisanten Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte während der vergangenen Jahrzehnte sowie Ausführungen über die filmische Auseinandersetzung mit Leben und Schaffen des Komponisten (ein Aspekt, der etwa von den Herausgebern des im selben Verlag publizierten Brahms Handbuchs auf vorbildliche Weise integriert wur­de), sucht man daher vergeblich. Allein zwei Kapitel markieren noch einen Ausblick: Während es durchaus Sinn macht, die Spuren Wagners bis zu Cosimas Tod weiterzuverfolgen, um so die in Bayreuth waltende Kontinuität herauszuarbeiten, hätte man jedoch auf Giselher Schuberts im Rahmen der Bandkonzeption inkonsequente Ausführungen zur kompositorischen Rezeption im 20. Jahrhundert verzichten können, zumal hier weder die inhaltliche Aufbereitung schlüssig ist, noch die Kriterien des Autors bei der Auswahl seiner Beispiele deutlich werden.

Stefan Drees