west coast soundings

Werke von Mark So, Michael Winter, Chris Kallmyer, Tashi Wada, James Tenney, Liam Mooney, Scott Cazan, Laura Steenberge, Catherine Lamb, Quentin Tolimieri, Casey Anderson und Michael Pisaro

Verlag/Label: Edition Wandelweiser Records EWR 1404/05, 2 CDs
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 2

Die Wurzeln dieser Produktion reichen zurück ins Jahr 2011, wo eigentlich nichts passierte, was nicht irgendwie mit Cage zu tun hatte. hans w. koch und seine musikalischen Mitstreiter wollten jedoch kein museales Happening aufziehen, son­dern dem experimentellen Geist der Avantgarde-Legende zum 100. mit einem aktuellen Blick auf die amerikanische Westküste die Ehre er­weisen. Der Kölner Klangkünstler, Elektroniker und Performancekünstler war als Lehrer im California Institute of the Arts selbst oft Teil dieser Szene, deren Lebendigkeit er hier mit suggestiven Klangimpressionen zumeist junger Komponisten do­kumentiert. Die Tradition der New York School, ein unmittelbareres, intellektuell unverstelltes Erleben von Klang in den Vordergrund zu rücken, hat auch die «West Coast» auf ihre Fahnen geschrieben, wobei ein größeres Interesse an Klangprozessen zu bemerken ist, die sich manchmal nah an der Sound-Installation bewegen. Viele Stücke sind in dieser Hinsicht allerdings auffallend ähnlich gestrickt!
Die Ästhetik von James Tenney hat deutliche Spuren hinterlassen, dessen sphärisch entrücktes Harmonium No. 1 (1976) hier mit einer breiten Holzbläser-Palette und fast sakraler Andächtigkeit zu hören ist – wunderbar gespielt wie fast alles hier. Kontemplative Flächen und sanft fluktuierende Harmonien beherrschen das Bild: in Mark Sos segue (2007) mit einer etwas einschläfernden Text-Rezitation, in Scott Cazans stimmungsvollem Outliers als Folge fast choralartiger Harmonien, die sich immer weiter ausdünnen. Denkbar größte Statik verkörpert auch das beinahe völlig regungslose Between the Rhine and Los Angeles (2012) von Chris Kallmyer, ein elektronisch
aufgerautes Kraftfeld, dessen Si­nus-Brummen nur unmerklich seine Amplituden verändert. Auch Liam Mooney frönt in 180° (2011) der gezielten Beschränkung und verwendet Trockeneis und Triangeln zur Herstellung eines nervenaufreibenden Dauergeläuts, als hätte er uns einen alten Wecker direkt ins Gehirn implantiert.
Eher der Collage verpflichtet sind Tashi Wada, der seine Feldaufnahmen von Nest (2008) in ein dichtes Gewebe elektronisch anmutender Instrumentalfarben verstrickt, inklusive reichlich Vogelgesang, Michael Winters small world (2008) mit disparaten Geräuschtexturen aus Instrumentalaktion und Radiofragmenten sowie Casey Anderson. Seine Radio-Collage possible dust hat allerdings einen riesen Bart und kommt wie ein müder Abklatsch vergangener Cage-Tage daher. Angenehm aus dem Rahmen fallen Laura Steenberge mit einem zur Unkenntlichkeit zerdehnten Waltz (2013) und Quentin Tolimieris Trio (2013), dessen melodische Bruchstücke hier wie lyrische Großereignisse wirken.

Dirk Wieschollek