Larcher, Thomas

What Becomes

Verlag/Label: Harmonia Mundi HM907604
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Als Pianist kennt Thomas Larcher die Möglichkeiten des Klaviers. Über ein solches Referenzsystem zu verfügen, war und ist für den Interpreten Larcher essenziell. Für den Komponisten jedoch galt es für geraume Zeit, diesem «natürlichen Klavierklang zu entfliehen», der ihm irgendwann abgenutzt, auserzählt, auf unangenehme Art vertraut schien. Nach einer Reihe kritischer Phasen sollte Larcher jedoch wieder in diesen Schatz der ihm bekannten Möglichkeiten des Klavierklangs hineingreifen, wenngleich unter anderen Vorzeichen. Er setzte sich nun geradezu lustvoll den Gefahren des vermeintlichen «déjà entendu» aus, während er den tradierten Klangkatalog stetig weiter ins Offene hinaus variierte. Dies geschah bisweilen, indem er das Klavier präparierte. Benutzte er hingegen die konventionellen Klangmittel, konnte es sein, dass er geschredderte, gerade noch als Zitate kenntliche Kompositionspartikel aufeinander schoss, um aus dieser Kollision das Neue entstehen zu lassen.
Die vorliegende CD nun, die Larcher mit dem ebenso lakonischen wie programmatischen Titel What becomes überschrieben hat, sollte daher unbedingt auch als Logbuch von Aufbrüchen gehört werden, die im Œuvre dieses so unablässig integer Suchenden immer aus Abbrüchen resultieren. Die Solostücke spielte Tamara Stefanovich ein, darunter das zweiteilige, knapp zehn Minuten lange Smart Dust, auszuführen auf einem vollständig mit Gummikeilen und Gaffa Tape präparierten Klavier. Phasenweise sind rasende Repetitionen alternierend mit kurzen Laufsequenzen in die Tastatur zu häm­mern – eigentlich. Alles wird durch die Präparierungen gebremst, zu Klangereignissen gemacht, die darum ringen, Ereignisse zu sein, und es im Ringen tatsächlich werden. In den darauf folgenden Poems (1975–2010) ziehen Anklänge an die großen Puristen des 20. Jahrhunderts durch die Stücke. Die «Poems» sind gespeist aus dem kompositorischen Zettelkasten Larchers. Ein wenig erinnert dieser Zyklus aber auch an Rossinis Péchés de Vieillesse mit ihren scharf das Virtuosentum persiflierenden Titeln. Doch Larcher ist nicht wie Rossini ein bittersüß komponierender Satiriker. Im Zyklus What Becomes legt er beispielsweise Musik von Rachmaninow und George Crumb unter die Lupe und schreibt an Stellen weiter, die in den Originalen ausfransen.
Am Ende der CD steht der Padmore Cycle, geschrieben für Mark Padmore. Mit ihm zusammen führt Thomas Larcher am Klavier kongenial die lakonische Zärtlichkeit der Texte von Hans Aschenwald und Alois Hotschnig vor Ohren. Themen sind «die Natur, die Berge, die Landschaft», aus der Larcher kommt. Mark Padmore hört stets dort auf zu singen, wo die Sprache selbst zur Musik gerinnt, und spricht jene Passagen singend, die Larcher als nicht sangbar komponiert hat. Und am Ende geht einem der Aphorismus Dein Wort mein Blindenhund von Alois Hotschnig nicht mehr aus dem Sinn: «Ein reißender Köter an meiner zweifelnden Hand».

Annette Eckerle