Windhauch – Tänze von Leben und Tod

Werke von Pindar/Athanasius Kircher, Wolfgang-Andreas Schultz, Norbert Rodenkirchen und Johann Jacob Froberger

Verlag/Label: Sutonique LC 29699
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 3

Totentanz-Darstellungen des Mittelalters inspirierten den Komponisten Wolfgang-Andreas Schultz für eine neunteilige Cembalo-Komposition. Auf den Zeichnungen und Holzschnitten wird der Tod als Skelett dargestellt; in körperlichen Kontraktionen und höhnischem Grinsen kündet er den Unglücklichen von ihrem nahenden Ende. Der skelettöse Klang des Cembalos eignet sich sehr gut, um die Knochenbewegungen des Todes in ihrer Morbidität einzufangen. Beim Hören meint man buchstäblich, den tanzenden Schrecken vor sich zu sehen …
Schultz hat in seinem Stück Begegnungen komponiert. Der Tod trifft auf Protagonisten aus diversen sozialen Schichten, deren Reaktionen auf die Bedrohung jeweils unterschiedlich ausfallen. Gemeinsam ist ihnen allerdings ihre Dramatik. Sie kommt besonders eindrucksvoll im Rendezvous mit einem Soldaten zur Geltung, dem engen Kompagnon des Todes, der sich von dessen tänzerischer Akrobatik unbeeindruckt zeigt und ihn selbst zum Tanz herausfordert. Ganz anders verhält sich der Bettler: Gepeinigt von Schmerzen und der Ungerechtigkeit des Lebens versteht er den Tod als Erlösung und empfängt ihn mit offenen Armen. Dieses melancholische Moment wird vom Cembalo mit sperrigen Tonverkettungen versinnbildlicht. Jedes Tête-à-Tête endet mit einer herabsteigenden Tritonus-Folge – eine effiziente, wenn auch offensichtliche Versinnbildlichung des Übergangs in das Reich des Todes.
Leben und Tod stehen auch im Mittelpunkt der Wondreb Fragmente für Traversflöte und Cembalo von Norbert Ro­denkirchen, die (in ei­nem Stück von Werner Fritsch) ihren Weg ins Theater gefunden haben. Rodenkirchen selbst spielt die Traversflöte; begleitet wird er von Angela Koppenwallner. Die Expertin für alte Musik und historische Tasteninstrumente ist auf der gesamten CD zu hören – eine eloquente Interpretin, die keine Schwierigkeiten mit der Komplexität der Stücke hat und sie souverän meistert. Die Wondreb Fragmente zeigen Komponist und Cembalistin in einem wuchtigen Zusammenspiel voller rhythmischer Raffinessen und gefährlicher Stolpersteine. Die Musik ist stets nach vorne gerichtet: ein energiegeladener Klangstrahl, in dem immer wieder mysteriöse Melodien anklingen.
Umrahmt werden die zeitgenössischen Kompositionen von Klängen alter Musik. Zu Beginn von der Ersten pythischen Ode, einem Stück, dessen Melodie angeblich aus Athanasius Kirchers Musurgia universalis (1650) stammt. Darin sinniert der Universalgelehrte über die Zusammenhänge von Musik und Universum, Vogelgesang und den Bau von mechanischen Orgeln. Das Stück kommt getragen daher, aus den Lautsprechern entfaltet sich eine meditative Atmosphäre. Den Abschluss macht ein Lamento (1654) von J. J. Froberger: eine Trauermusik, die besinnlich stimmt, tröstenden Charakter hat. Der Schrecken des Todes erscheint in den schimmernden Tonfolgen des Cembalos nicht mehr furchteinflößend, sondern wie eine bittere Notwendigkeit, mit der sich jeder abfinden muss.    

Raphael Smarzoch