Wittener Tage für neue Kammermusik 2013. Dokumentation live

Werke von Ming Tsao, Márton Illés, Julien Jamet, Emre Sihan Kaleli, Dieter Ammann, Unsuk Chin, Bernhard Lang, Georges Aperghis, Manos Tsangaris, Neele Hülcker, Erwin Stache, Matthias Kaul, Peter Ablinger

Verlag/Label: 2 CDs (+ DVD), WDR 3 WD 2013
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 88

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Der CD-Dokumentation der Wittener Tage für neue Kammermusik 2013 eine DVD beizufügen, macht Sinn, da so auch die Klanginstallationen in der Innenstadt, die unter dem Motto «wittendrin» den (halb-)öffentlichen Raum einbezogen, ab­gebildet werden können: Georges Aperghis’ Retrouvailles etwa, die skurrile Inszenierung einer «Wiederbegegnung», erhielt durch Nahauf­nahmen der beiden Darsteller und «Body-Percussionisten» Richard Dubelski und Christian Dierstein eine zusätzliche Dimension. Oder Neele Hülckers Einwohnen, das durch die Komprimierung in einem zehnminütigen Film eine willkommene Verdichtung erfuhr. Das Gegenteil passierte allerdings mit Erwin Staches Tür zu, es rauscht, wo die Zuschauer selbst in Aktion treten sollten; und auch die Verfilmung der spitzfindigen Transformation des «nervösen» (Klein-)Stadtlebens in Klang, wie sie Peter Ablinger in Schaufensterstück und From inside out vornahm, reicht nicht im Mindesten an das Live-Erlebnis heran.
Aber das gilt mehr oder weniger für alle Formen medialer Aufbereitung – nicht zuletzt auch für die Konzertmitschnitte auf den zwei CDs, die nur sieben der ca. 25 in Witten 2013 (ur-)aufgeführten Stücke bieten. Über die Auswahl ließe sich trefflich streiten. Aus den Anverwandlungen von Karlheinz Stockhausens vor fünfzig Jahren kreierten Konzeptstück Plus Minus, die einen Schwerpunkt des Programms bildeten, schaffte es lediglich Ming Tsaos Ausarbeitung auf Tonträger. Darin «philosophierte» der amerikanisch-chinesische Komponist zwar tiefgründig über Eigenes und Fremdes, doch es war zumal dem Ensemble ascolta unter Leitung von Johannes Kalitzke zu verdanken, dass die Tendenz zum Totlaufen nicht dominant erschien.
Ganz anders dagegen Rajzok III des Ungarn Márton Illés – samt «schielendem», da vierteltönig verschobenem Klavierklang vom Trio Catch bei seinem Witten-Debüt bravourös dargeboten – und Seventeen Thoughts on a Chamber Concerto des Türken Emre Sihan Kaleli, dem das Nieuw Ensemble unter Celso Antunes zu großartiger Wirkung verhalf. Auch cosmigimmicks, eine spannungsgeladene «Pantomime für sieben Spieler» von Unsuk Chin, lag bei diesem Klangkörper in den besten Händen.
Dass durch glänzende Interpretation indes nicht jedes Stück zum Ereignis wird, zeigt sich in Julien Jamets Si l’essence et sans fard, Dieter Ammanns unbalanced instability und vor allem in Bernhard Langs Monadologie XV: Druck. Einen faden Nachgeschmack hinterlässt auch das Booklet, das wie gewohnt mit Texten der KomponistInnen bestückt ist. Doch was sich im Programmbuch des Uraufführungsfestivals einlöst, gerät in der nachträglichen CD-Dokumentation zum Makel, da keine übergreifenden Zusammenhänge oder Korrespondenzen zwischen den Stücken aufgezeigt werden, sondern jeder «Autor» zwangsläufig im eigenen Saft schmort.

Egbert Hiller