Takase, Aki / Louis Sclavis

Yokohama

Verlag/Label: Intakt Records CD 165
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

 

Obwohl Europa immer mehr zusammenwächst, kommen sich die Musikszenen der einzelnen Länder nicht unbedingt näher. Was etwa im Bereich des Jazz jenseits des Rheins passiert, wird in Deutschland kaum wahrgenommen – und umgekehrt. Nur eine Handvoll Jazzmusiker aus Frankreich haben es in der Bundesrepublik zu Beachtung gebracht. Neben Michel Portal, Richard Galliano und Henry Texier zählt der Saxofonist und Klarinettist Louis Sclavis zu der auserlesenen Schar. Jetzt hat sich der Franzose für eine Einspielung mit der japanischen Pianistin Aki Takase zusammengetan, die seit Jahrzehnten in Berlin lebt und eigentlich der deutschen Jazzszene zuzurechnen ist.
Louis Sclavis (Jahrgang 1953) spielt ein ganzes Arsenal an Holzblasinstrumenten. Er besitzt ein feines Gespür für Stimmungen, versteht es, seine Instrumente gemäß der Atmosphäre der jeweiligen Stücke einzu­setzen. Wenn eine Komposition in träumerisch-verhangene Sphären ausgreift, bieten die ätherischen Hochtöne der Klarinette die passende Klangfarbe; geht es erdiger und zupackender zu, haben Sop­ransaxofon oder Bassklarinette mehr zu sagen. Aki Takase (Jahrgang 1948) ist eine Pianistin, die ein breites Spekt­rum an Stilen beherrscht. Sie hat sich von Fats Waller und Duke Ellington bis Eric Dolphy und Ornette Coleman mit vielen stilprägenden Jazzmeistern musikalisch intensiv auseinandergesetzt. Takase kann Standards und Evergreens genauso überzeugend in Szene setzen wie freie Improvisationen.
Die Kompositionen, die die beiden auf Yokohama interpretieren, decken ein weites Feld ab. Da finden sich vertrackte bebop-artige Stücke und atonale Freejazz-Nummern, bei denen Takase im Inneren des Flügels hantiert, neben verspielten Passagen und eher romantischen Titeln in leisem Tonfall. Dennoch kommt nie das Gefühl eines eklektizistischen Potpourris auf. Vielmehr klingt das Al­bum trotz seiner Vielfalt wie aus einem Guss. Die beiden haben sich ausgezeichnet aufeinander eingestellt, liegen auf derselben Wellenlänge. Aus diesem Grund klingt die Musik nicht nur überzeugend, sondern auch völlig selbstverständlich, als hätte man im­mer schon so innerlich frei und ohne Scheuklappen musiziert. Der Jazz der Gegenwart ist polystilistisch und die Musiker sind es längst auch.

Christoph Wagner