YOKOKIMTHURSTON

Verlag/Label: Chimera Music
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Man könnte auf die Idee kommen, dass Yoko Ono mit ihrem dem Menschen unähnlichen Gesang sich auf ein Werk beruft, das bei seiner Präsentation genauso für Irritationen und Schmähungen sorgte, wie das bei ihr der Fall war. Gemeint ist die «Ursonate» von Kurt Schwitters, die menschlichen «Ur-Lauten» eine Stimme gab und als exzentrisches Paradebeispiel dadaistischer Umtriebe gilt. Ono steht dem Fluxus nahe, dem sie auf dem gemeinsam mit John Lennon 1969 veröffentlichten «Wedding Album» erste rockmusikalische Ausrufezeichen aufsetzte, wobei sie den Schmerz über den Kontaktverlust zu ihrer Tochter Kyoko in dem Song «Don’t Worry Kyoko (Mummy’s Only Looking For Her Hand In The Snow)» mit einem extravaganten Gesangsstil kundtat. Jahrelang verlagerte sie ihre Vokalarbeiten zwar in die Sphären von Rock und Pop, kehrte jedoch spätestens auf «Between My Head And The Sky» zu «Urlaut»-Verlautbarungen zurück.
Den Kreis zum Happening-Charakter ihrer musikalischen Kunst und Ausdrucksweise hat Ono nun mit der Mini-CD «YOKOKIMTHURSTON» geschlossen. Gemeinsam mit den Sonic Youth-Masterminds Thurston Moore und Kim Gordon durchkämmt sie die Entwicklungsgeschichte avantgardistischer Klangerzeugung – und landet wieder bei sich selbst. Erinnerungen stellen sich ein, die – wie in «I Missed You Listening» – an ihre Performance im Sack beim Toronto Rock’n’ Roll Revival Festival 1969 anknüpfen oder – siehe «Mirror Mirror» – dem Verrinnen von Zeit und dem Versickern von Klangmaterial einen Spiegel vorhalten. Ono antwortet wie der allwissende Spiegel im Märchen «Schneewittchen»: Aus der Wortlosigkeit ihres Gesangs formen sich Antworten auf Fragen nach der Soundstruktur und Klangaussagefähigkeit wie von selbst. Thurston Moores und Kim Gordons Kratzereien auf den Gitarren und die jammernde, auf Schmerz, Trau­er, Entbehrung und Erinnerung fokussierende Stimme Yoko Onos finden in einer nur schwach gezähmten Ekstasehaltung zusammen: Wie ein Frage-Antwort-Spiel nutzen Instrumente und Stimme ihre Interpretationsmöglichkeiten in extremer Weise und ignorieren sowohl Tonsysteme wie harmonische Grundlagen.
Dass auch der Akt des Sprechens und des Lautmalens ein Transport­vehikel zur Verbreitung künstlerischer Ideen ist, erreichte mit der Erfindung des Phonografen immer größere Interessentenmassen. Die Sprache als Medium, als Träger von Botschaften und als Kommunikationsmittel benutzen Ono, Moore und Gordon in freier Improvisation, in der Rezitation von Gedichten und Dialogen virtuos und innovativ. Hier zeigt sich auch, dass Kunst, die sich als Widerpart zum Mainstream versteht, keinen wie auch immer gearteten Kompromissen folgen, sondern aus sich selbst heraus zum Kern des Erzählens und der Rezeption vorstoßen sollte. Dafür gibt es Beispiele, die der Avantgarde völlig unverdächtig sind und die trotzdem ganz allgemein als große, traditionsreiche Vokalvolkskunst angesehen werden. Sie finden sich in den Oberton- und Kehlkopfgesängen der Tuva wie in bayerischen Jodlern, im Scatgesang großer Jazzsängerinnen oder in den Liedern von Jean-Baptiste Lully und Jean-Philippe Rameau.

Klaus Hübner