Stockhausen, Karlheinz
Zyklus für einen Schlagzeuger (in zwei Fassungen) / Klavierstück X
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
Für Max Neuhaus, der im Februar 1963 in New York die zweite Fassung des Zyklus für einen Schlagzeuger von Karlheinz Stockhausen aufführte, war «die Verschmelzung zweier Konzepte von Improvisation und Komposition, die Möglichkeit für den Interpreten, improvisieren zu können mit durchkomponierten Elementen innerhalb einer komponierten Struktur», die wichtigste musikalische Idee des Komponisten für diesen Zyklus. Stockhausen bediente sich in dem 1959 geschriebenen Stück eines Elements, das überwiegend im Jazz eine, ja die wichtigste Rolle spielt: die Improvisation, die Freiheit des Interpreten, vorgegebenes Tonmaterial im eigenen Sinne zu variieren, zu erweitern, zu verzieren. Um dem Improvisationsgedanken genügend Raum zu geben, grenzte der Komponist die Spieldauer des Stücks nicht ein, sondern überließ dem Interpreten auch die zeitliche Ausgestaltung des Werks. Neuhaus fand für seine Darstellung eigene Spieltechniken; Christoph Caskel, Interpret der ersten Fassung, favorisierte ein gleichbleibendes Zeitmaß. Der Zyklus entstand als Pflichtstück für einen damals in Kranichstein bei Darmstadt angesiedelten Schlagzeugwettbewerb.
Der Zyklus für einen Schlagzeuger, dieser Hochkaräter unter vielen Edelsteinen, repräsentiert die Vielzahl revolutionärer Werke der neuen Musik an herausragender Stelle. Das trifft ebenso auf das von Stockhausen 1954 geschriebene Klavierstück X zu, das er Aloys Kontarsky widmete und das eng mit dem Namen des Pianisten Frederic Rzewski verbunden ist. Rzewski spielte die Uraufführung 1962 im Rahmen der «3. Settimana Internazionale Nuova Musica» in Palermo. Stockhausens Versuch, zwischen Ordnung und Unordnung einen roten Faden zu finden, sozusagen eine ungeordnete Ordnung herzustellen, zeigt im Ergebnis ein absolut ungebändigt erscheinendes Klavierszenario, das dem Interpreten höchste Konzentration und Fingerfertigkeit abverlangt. Die rasante Geschwindigkeit, die Stockhausen dem Pianisten abverlangt, produziert ein dicht gewebtes, nahezu undurchlässiges Klanggebilde, dessen serielle Ausgestaltung diverse Extreme zulässt. So dominiert neben einer kraftvollen Dynamik gleichberechtigt eine komplexe Clusterstruktur. Vor allem aber sind es die Gegensätze, die das Klavierstück X als Meilenstein der neuen Musik erscheinen lassen: laut und leise, langsam und schnell, kurz und lang, Klang und Geräusch und so weiter. Stockhausen ist der Versuch, «zwischen relativer Unordnung und Ordnung zu vermitteln», auf eine Weise gelungen, die das Stück auch mehr als fünfzig Jahre nach seinem Entstehen unverwechselbar macht und als weitsichtig etikettiert.
Zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum wiederveröffentlicht das Wergo-Label als Kennmarke einer avancierten zeitgenössischen Musik herausragende Einspielungen, die unter dem Namen «studio reihe neuer musik» in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für Furore sorgten. Erstmals erscheinen diese Werke in einer hervorragenden Klangqualität auf CD. Die hier reproduzierten beiden Werke wurden 1965 auf der Wergo-LP gleichen Namens veröffentlicht (WER 60010).
Klaus Hübner